KANAPEE-Gründer Erwin Schütterle im Portrait

Stadtkind vom 18.08.2008, von Björn B. Dorra

 

„Liebe Kanapee-Freunde, (…) dieser Brief ging mir nicht so leicht von der Hand, denn heute teile ich Ihnen, ohne Vorwarnung, mit, dass ich nach 26,5 Jahren und 3.625 Konzerten das Kanapee an meinen langjährigen Mitarbeiter Yasil Khalaila übergebe…“ Als Erwin Schütterle Mitte Mai bekannt gab, dass er nicht länger für „sein Kind“, die legendäre Wein- und Konzertstube in der Edenstraße 1, sorgen würde, löste das bei allen Fans des Hauses das blanke Entsetzen aus. In der Folgezeit schrieben ihm „erschütterte“, traurige, aber am Ende doch verständige Konzertgäste, dass Erwin Schütterle seinem Namen zum ersten Mal alle Ehre machen würde. Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet, und der Kulturvermittler ist weit davon entfernt, Bilanz zu ziehen: „So was gibt es bei mir nicht, schließlich geht es ja weiter – und mit Zahlen hat das Ganze sowieso nichts zu tun.“

Als Erwin das Kanapee am 30. Oktober 1981 eröffnete, war er 37 Jahre alt und hatte eine Karriere und einen „Traumjob“ als Bezirksleiter bei Bertelsmann hinter sich gelassen, denn er wollte raus und was anderes machen: „Mir war klar, dass ich mich dort auf Dauer hätte verbiegen lassen müssen.“ Der Mann mit dem Schnurrbart hatte andere Vorstellungen vom Leben. „Jeder Mensch hat einen Traum, und ich hatte schon seit 15 Jahren die Idee einer Tee- und Weinstube mit Konzertflügel und Büchern, aber ohne Fassbier und Tresen, im Hinterkopf.“ In den nächsten Jahren wurde das Kanapee Erwins öffentliches Wohnzimmer, in dem die Salonkultur des 18. Jahrhunderts wieder aufblühen konnte – eine intime Begegnungsstätte für Künstler, Musiker, Schriftsteller und Bildungsbürger, die klassische Musik und Literatur lieben – einmalig in Hannover. Im Kanapee übernahm Erwin täglich die Rolle des Impresarios, des künstlerischen Leiters, der leichtfüßig durch den Abend oder Nachmittag führt und zwischen den Gästen vermittelt. Da der 64-Jährige hinter den Kulissen aber ebenso seiner Arbeit als Gastronom und Buchhalter nachgehen musste, war die 70-Stunden-Woche für ihn Programm. Gejammert habe er aber nie, meint der gelernte Postbeamte, die Bestätigung der Gäste sei sein Lohn gewesen.

„Die Quintessenz meiner Arbeit lag darin, Kultur, Kunst und Kommunikation miteinander zu verbinden und Beziehungsgeflechte aufzubauen.“ Musikalische und sonstige Ehen seien im Kanapee geschlossen worden, erklärt Erwin, der jederzeit Grenzen aufbrechen wollte. Beispiel für dieses Prinzip war die sogenannte „Künstlerkasse“, mit der der eloquente Gastwirt für eine ausgewogene „kulturelle Grundversorgung“ sorgen wollte, die für jeden erschwinglich bleibt. Statt also Eintrittsgelder einzufordern, ging er nach jedem Konzert mit dem Spenden-Hut durch die Menge. „Aus betriebswirtschaftlicher Sicht habe ich alles falsch gemacht“, findet Erwin, der im Laufe der Jahre tatsächlich mit zwei finanziellen Krisen zu kämpfen hatte, die fast zum Aus des Kanapees geführt hätten. Doch weil es dem Kulturbotschafter eben trotzdem gelungen ist, weiterzumachen, durften die Gäste musikalische Darbietungen aus den Bereichen Klassik, Klezmer, Folklore und Chanson genießen oder konnten spannende Kabarett- und Literatur-Events mit Friedhelm Kändler und vielen anderen erleben. Im Kanapee wurden Talente entdeckt und gefördert, weshalb Erwin keinen einzelnen Höhepunkt der Darbietung hervorheben möchte. Jetzt ist der Vorhang gefallen, und der gebürtige Süddeutsche möchte zunächst auch räumlich Abstand von seiner Wein- und Konzertstube gewinnen. Als „stiller Berater“ bleibe er dem Haus weiterhin erhalten, aber seine derzeitige Aufgabe ist die des hauptamtlichen Geschäftsführers des Freundeskreis Hannover. In dieser Position sei er ein „Kulturwahrnehmer“, meint Erwin, der mit dem Gedanken spielt, ein Buch zu verfassen. Arbeitstitel: „Von Menschen und Musikern – Geschichten aus dem Kanapee“.